Rasanter Anstieg bei Großinsolvenzen im textilen Einzelhandel in den ersten neun Monaten 2020
Das Bild im Einzelhandel könnte aktuell kaum unterschiedlicher sein. Lebensmittel- und Onlinehändler fahren satte Zuwächse ein, während der stationäre Einzelhandel vor großen Herausforderungen steht. Insbesondere der stationäre textile Einzelhandel hatte mit Lockdown und pandemiebedingten Einschränkungen 2020 bisher ein rabenschwarzes Jahr. So erklärt sich auch, dass gegen den allgemeinen Trend im textilen Einzelhandel in den ersten neun Monaten des Jahres besonders viele große Unternehmen Insolvenz anmelden mussten.
Gegen den Trend: Rasanter Anstieg bei Großinsolvenzen im textilen Einzelhandel
„Insgesamt sind acht große textile Einzelhändler in den ersten neun Monaten des Jahres in die Insolvenz geschlittert“, sagt Ron van het Hof, CEO von Euler Hermes in Deutschland, Österreich und der Schweiz. „Das sind fünf mehr als im Vorjahreszeitraum, das ist eine Zunahme um rund 166 Prozent. Auch im Non-Food-Einzelhandelssektor gab es 2020 vier weitere große Pleiten. Dies ist insofern besonders besorgniserregend, weil es entgegen dem bisherigen Insolvenztrend in Deutschland ist, der zuletzt noch eine deutlich rückläufige Entwicklung bei den Fallzahlen zeigte. Neben der Liquidität wird insbesondere eine maßgeschneiderte Multichannel-Strategie immer stärker zum Erfolgsfaktor. Wer auch online kann, kommt jetzt besser durch die Krise.“
Umsatzverluste im Bekleidungseinzelhandel 2020: 12 Milliarden Euro
Deutliche Umsatzeinbußen werden allerdings fast alle Branchenteilnehmer hinnehmen müssen: „Für 2020 erwarten wir Umsatzverluste von rund 12 Milliarden Euro im Bekleidungseinzelhandel“, sagt Aurélien Duthoit, Senior Branchenanalyst bei Euler Hermes. „Nach dem drastischen Einbruch während des Lockdowns im März und April haben sich die Umsätze zwar sukzessive erholt, allerdings sind sie mit -26 Prozent von Januar bis September deutlich unter dem Vorjahresniveau. Unterschiede zwischen Bekleidung und Accessoires gibt es dabei kaum. Geht man für den restlichen Jahresverlauf davon aus, dass der Umsatz weiterhin rund 10 Prozent unter Vorjahresniveau bleibt, ergibt sich für das Gesamtjahr ein Minus beim Umsatz von etwa 19 Prozent zurückgehen, das entspricht etwa 12 Milliarden Euro.“
Krisengewinner: Online, online, online – 18 Prozent Umsatzplus im E-Commerce erwartet für 2020
Der Onlinehandel legte bei den Umsätzen von Januar bis August 2020 um insgesamt 22 Prozent zu. Zwar hat sich der rasante Zuwachs seit Juni mit den Lockerungen etwas verlangsamt, allerdings dürften Umsätze im Gesamtjahr 2020 um satte 18 Prozent zulegen im Vergleich zu 8 Prozent im Jahr 2019. Die Aussichten im E-Commerce sind auch für 2021 gut. Zwar erwarten die Euler Hermes Experten kein erneutes Rekordjahr wie 2020, aber mit rund +10 Prozent Umsatzwachstum dürfte auch 2021 deutlich über dem Langzeitdurchschnitt von 7 bis 8 Prozent liegen.
„Viele Verbraucher haben in diesem Jahr ihre Konsumgewohnheiten drastisch verändert“, sagt Duthoit. „Auch vorher nicht online-affine Verbraucher kaufen plötzlich verstärkt im Netz. Wenn sie dort zufrieden sind – und die Onlinehändler tun alles dafür, dass das der Fall ist – könnten sie eventuell für den stationären Handel nachhaltig verloren sein. Dafür müssen die Einzelhändler in Zukunft passende Konzepte entwickeln, um sie wieder zurück zu locken.“
Tops & Flops: Covid-19 wirkt wie Brennglas und verstärkt Effekte in beide Richtungen
Neben zahlreichen Sorgenkindern, gibt es im stationären Handel allerdings auch einige Unternehmen, die sehr gut aufgestellt sind. „In jeder Krise gibt es Gewinner und Verlierer“, sagt Van het Hof. „Die Krise, in diesem Fall Covid-19, wirkt dabei wie ein Katalysator und verstärkt die Wirkung in beide Richtungen. Zu den Gewinnern gehören Unternehmen, die ihre Strategie, Zielgruppe und Kostenstruktur kennen und deren Geschäftsmodell nicht nur auf einem Standbein steht. Wer sich schon vor der Pandemie gut auf den Strukturwandel vorbereitet und investiert hatte, konnte vom Online-Boom in Zeiten von Covid profitieren. Wer diesen Trend verpasst hat, dürfte noch weiter abgehängt werden und hängt am seidenen Faden.“
Zerreißprobe: Weihnachtsgeschäft und „Saure-Gurken-Zeit“ zum Jahresstart 2021
Ob dieser Faden reißt oder nicht, hängt nun vor allem am Weihnachtsgeschäft, denn der bisherige Jahresverlauf hat bereits deutliche Spuren in der Branche hinterlassen. „Die traditionell eher umsatzschwache ‚Saure-Gurken-Zeit‘ von Januar bis März ist lang und wird für einige Unternehmen zu einer Zerreißprobe“, sagt Van het Hof. „Die Bonität der Branche ist seit Jahren unterdurchschnittlich. 2020 war für viele ein verlorenes Jahr und sie setzen jetzt auf 2021. Aber nur wer jetzt wenigstens im Weihnachtsgeschäft ein kleines Polster anlegen kann, wird sich bis zum Frühjahrsgeschäft über Wasser halten können. Und auch Weihnachtsgeschenke werden in diesem Jahr voraussichtlich eher online gekauft als im Laden. Es wird also weiterhin Insolvenzen geben – aber auch einige, die sich mit dem Weihnachtsgeschäft in eine gute Ausgangssituation für das kommende Jahr bringen können.“