Ignorieren von Trends war noch nie ein guter Ratgeber
Was halten Sie von Vorschlägen, den Saisonrhythmus nach hinten zu verschieben? Wenn ja, um welchen Zeitraum?
Wir arbeiten ja mit zirka 700 Geschäften im Modebereich online zusammen. Dort gibt es zwar – je nach Hersteller – 2 bis 12 Saisons, aber das ist nicht unbedingt besser. Die Anzahl der Saisons ist nicht per se ein Gewinn, eine Verkürzung zwischen Orderzeit und Auslieferung jedoch schon! Insofern wäre es ein Gewinn für alle Beteiligten, wenn man näher am Saisonstart ordern würde, der Lieferant in seinen Prozessketten schneller ist und auch schneller ausliefert. Somit kommen wir näher an das Prinzip, wie es Zara/Inditex einst vorgemacht hat: Trend entdecken, in Produktion geben und in Flächen ausrollen innerhalb von weniger als zwei Monaten. Wenn wir als Schuhindustrie hier Richtung drei Monate kommen, wäre dies ein toller Sprung. Und im Onlinehandel ist sowieso eine stärkere Nachorderaktivität gegeben, die Vororder ist dort weniger wichtig.
Glauben Sie, dass die Folgen der Corona-Pandemie Ihr Geschäft nachhaltig verändern werden?
Die Corona-Krise hat bereits jetzt unser Geschäft nachhaltig geändert. Früher war es oft Glaubenssache, ob man als Händler Online gut oder schlecht findet. Das ist nun vorbei, jeder Händler hat erkannt, dass er parallel online sein muss. Über 30 Prozent der Kunden kaufen online, man kann ja nicht ein Drittel der Menschen ausblenden oder ignorieren. Die Corona-Krise hat erstmals dazu geführt, dass auf einmal ältere Menschen online etwas kaufen. Dies hat zu skurrilen Situationen bei uns geführt, wo 70-Jährige ihren Waldläufer-Schuh bestellen wollten, aber gar keine Mailadresse haben oder Paypal nicht kennen. Unser Service der Telefonbestellung hat daher Konjunktur.
Wo sehen Sie derzeit den größten Handlungsbedarf? Was ist das das drückendste Problem?
Ich rede jeden Tag mit vielen Händlern. Die größte Herausforderung ist sicherlich, dass die Händler Liquidität organisieren müssen. Denn auch nach der Teilöffnung für Läden ist das Volumen geringer und die Kunden noch verunsichert. Corona wird nicht Jahre anhalten, in einem Jahr sieht die Welt wieder entspannter aus und sie geht nicht unter. Insofern drücke ist fest die Daumen, dass viele Händler diese schwierige Phase überstehen. Wir versuchen einen Beitrag hier zu leisten, damit die fehlenden Umsätze kompensiert werden. Aber auch für Hersteller ist dies eine sehr schwierige Situation: Die Händler stornieren einige Aufträge für Herbst, und die Lager sind voll, so dass die Order für Frühjahr 2021 geringer sein wird. Das kann schnell 10 oder 30 Prozent weniger Umsatz für einen Hersteller bedeuten. Daher müssen wir alle anpacken und schauen, dass wir in der Branche dieses schwierige Jahr gut überstehen.
Ist das Umsatzvolumen auf Ihren Plattformen gestiegen, und wenn ja, in welchem Ausmaß?
Wir sind derzeit in vier Branchen aktiv: Schuhe, Sport, Mode und Lederwaren, aber Ende Mai starten wir mit Juwelieren. Wir konnten in allen Bereichen seit März ein deutliches Wachstum von 30 bis 35 Prozent realisieren. Das sind sehr hohe Werte, wenn man bedenkt, dass der Durchschnittspreis in der Corona-Krise gefallen ist und Menschen günstiger einkaufen. Niemand kauft derzeit Pumps für 250 Euro. Daher hat die Paarzahl noch stärker zugelegt, auch Kinderschuhe haben sich massiv ins Onlinegeschäft verschoben, dort verzeichnen wir die höchsten Wachstumsraten.
Glauben Sie noch an die Zukunft des stationären Handels oder werden sich die Umsätze zunehmend auf Online-Plattformen verlagern?
Ja, ich glaube an die Zukunft des stationären Handels. Wichtig ist sicherlich eine Spezialisierung. Und noch wichtiger der Standort: Ist die Stadt in der Entwicklung negativ, kann ich noch so tolle Sortimente haben: Den Kampf wird man verlieren, man kann als einzelner Händler nicht gegen den Downturn einer Stadt ankommen. Das gleiche gilt für Center, denn hier gibt es einige, die seit einiger Zeit nicht mehr funktionieren und die Leerstände steigen. Der Online-Anteil steigt seit zehn Jahren und wird auch in 2021 weiter steigen. Insofern wird es für jeden Händler die Aufgabe sein, sich zu überlegen, wie er die bald 40 Prozent der Kunden erreicht, die vor allem Online kaufen. Ignorieren von Trends war noch nie ein guter Ratgeber.