Showrooming als neues Geschäftskonzept
Wer in letzter Zeit in Hannover war, ist bestimmt vor dem Schaufenster des Geschäfts Vaund stehengeblieben: Programmierbare Roboter stehen dort neben mächtigen Musikboxen, einer martialischen Kettensäge und einem auf Hochglanz polierten Sportwagen – das macht neugierig. Tatsächlich ist das Sortiment des Geschäfts ganz anders aufgebaut, als man es von einem Einzelhandelsgeschäft in bester Lage erwarten würde. Im Mittelpunkt steht nicht die maximale Kompetenz in einer einzelnen Produktkategorie, sondern das Einkaufserlebnis des Kunden – und das Versprechen, besondere Produkte erlebbar zu machen.
Wirklich bahnbrechend ist das Konzept jedoch auch aus einem anderen Grund: Vaund ist kein Einzelhändler im herkömmlichen Sinne.
Retail as a Service
Die Hannoveraner verdienen ihr Geld nicht auf althergebrachte Weise – die Handelsmarge, sonst heiligstes Gut des stationären Händlers, ist für Vaund nebensächlich. Die Gründer Michael Volland und Christian Ladner sind Dienstleister einer neuen Generation: Deren Kunden sind die Hersteller, die ihre Produkte über Musterteile ausstellen und Vaund dafür bezahlen, die Waren auf coole Art zu inszenieren und Besucher des Stores über die Besonderheiten der Produkte zu informieren. Kauft ein Kunde ein Produkt, verdient Vaund als Vermittler eine Provision.
Die hohe Kompetenz, die Leichtigkeit und die Freude, mit der das Team auf der Fläche agiert, sind beachtlich. Kaum verwunderlich, dass sich neben dem Soundspezialisten Teufel oder der Stiftmanufaktur Pelikan auch ein bekanntes Schuhlabel auf der Fläche findet: Joe Nimble, selbst Vorreiter in seinem Segment, hat ebenfalls Flächen gebucht.
Showrooming ist der neue Onlinehandel
Unvergessen ist für viele Händler der Moment, in dem klar wurde, dass der Onlinehandel mit Schuhen kein Hirngespinst von ein paar Quereinsteigern war. Da war der Kuchen allerdings bereits verteilt. Der Schuhhändler Ludwig Görtz zeigt nun in seinem Düsseldorfer Flagship-Store, dass das bei dem neuen Trend nicht noch einmal passieren wird. Auch Breuninger und Engelhorn sind ganz vorne mit dabei und haben eigene Flächen eingerichtet, auf denen die Kunden Produkte externer Partner mit Mustern erleben und bestellen können.
Neben Vaund gibt es mit dem Kölner Unternehmen Blaenk und den Berlinern von The Latest weitere Akteure, die sich derzeit aufmachen, das Produkterlebnis in den Fußgängerzonen zu revolutionieren. Die Immobilienbranche rollt bereits den roten Teppich aus – und stellt massig Wagniskapital zur Verfügung. Deutschland lernt das „Showrooming“.
Die D2C-Revolution
Treiber hinter der Entwicklung ist ein weiterer Trend, dessen Bezeichnung sich erst langsam etabliert. Hinter der unscheinbaren Abkürzung „D2C“ schlummert der noch viel größere Disruptor: Immer mehr Markenhersteller suchen nach weiteren Verkaufskanälen für ihr Direktvertriebs-Geschäft. Online ist das bereits ausgereizt – nun geraten stationäre Kundenschnittstellen in den Fokus. Kooperationen versprechen schnelles Wachstum und ein gigantisches Umsatzpotential.
Wie schon den Onlinehandel, kann der Fachhandel auch dieses neue Geschäftsfeld natürlich Newcomern wie Vaund und The Latest überlassen. Doch Kunden könnten spannende neue Produkte nach demselben Prinzip auch im eigenen Geschäft erleben!
Der stationäre Einzelhandel wird zur Plattform
Der stationäre Einzelhandel besitzt viele Eigenschaften, die ihn nachhaltig vom Onlinehandel abheben: Erlebnis, Inspiration, Beratung. Da mutet es fast abenteuerlich an, dieses besondere Können an der Garderobe der Online-Marktplätze abzugeben und sich entkleidet in einen anonymen Preis-Wettstreit zu begeben.
Dabei kann jeder Händler nun selbst als lokale Plattform zum Marktplatz einer neuen Generation werden – und Erträge nach demselben Prinzip generieren, wie es die Online-Konkurrenten vormachen: mit Verkaufsprovisionen. Heute zählt, wo etwas gekauft wird – nicht von wem. Technologien, die den live-erlebbaren Marktplatz aus dem Stand heraus möglich machen, sind bereits erprobt – und für Händler kostenlos verfügbar.
Autor: Thomas Wetzlar
Thomas Wetzlar ist Gründer und Geschäftsführer des Unternehmens Scalerion. Davor leitete er das Nordeuropa-Geschäft des Schuhherstellers Falc.